Warum die meisten Leitbilder scheitern und wie Sie es besser machen
Alles rund um funktionierende Leitbilder und wie Sie sich lebendig halten. Mehr dazu auch in den beiden zugehörigen Podcast-Folgen.
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"Wir haben uns zwei Jahre lang in gefühlt 20 Workshops damit beschäftigt, tolle Formulierungen zu finden. Das ist vier Jahre her - jetzt interessiert es keinen Menschen mehr."
Diese frustrierte Aussage höre ich regelmäßig, wenn ich als QM-Beraterin in Organisationen komme. Viel Energie, Zeit und Geld wurde in die Leitbild-Entwicklung gesteckt - und am Ende hängt ein schöner Text im goldenen Rahmen, der niemanden mehr interessiert.
Das muss nicht sein. Ein gut entwickeltes und richtig aktiviertes Leitbild ist eines der wertvollsten Instrumente, die ein Unternehmen haben kann. Es schafft Orientierung, stiftet Sinn und macht Qualität messbar. Aber nur, wenn es richtig gemacht wird.
Ganz unten gleich drei kostenlose Arbeitshilfen! Zum Download.
🎧 Und hier erst mal der Podcast zur Folge!
Das Grundproblem: "Alle wissen doch, was gute Arbeit ist"
Neulich hat mir eine QM-Beauftragte die Frage gestellt: "Wozu brauchen wir eigentlich ein Leitbild, wenn doch alle wissen, was gute Arbeit ist?" Auf den ersten Blick eine berechtigte Frage. Aber sie zeigt ein fundamentales Missverständnis auf.
Das Problem: Alle GLAUBEN, sie wüssten, was gute Arbeit ist. Aber in Wirklichkeit hat jeder eine andere Vorstellung davon.
Ein Beispiel aus der Praxis
In einem Workshop mit 15 Mitarbeitenden eines Bildungsträgers fragte ich: "Was ist für Sie gute Betreuung?" Die Antworten kamen sofort:
- "Dass wir immer erreichbar sind!"
- "Dass wir den Teilnehmenden Struktur geben!"
- "Dass wir individuell auf jeden eingehen!"
- "Dass wir ehrlich sind, auch wenn's wehtut!"
Alle nickten. Alle waren sich einig. Dann erzählte eine Kollegin von einem konkreten Fall: Ein Teilnehmer hatte mehrfach unentschuldigt gefehlt, war wenig motiviert, seine Ausbildung stand in Gefahr. Sie hatte ihn zum Gespräch gebeten, klare Ansagen gemacht, Konsequenzen aufgezeigt.
Die Reaktionen ihrer Kollegen:
- "Hätte ich völlig anders gemacht. Erst mal schauen, was dahintersteckt. Mehr Verständnis zeigen."
- "Bei mir hätte er schon längst einen Verweis bekommen. Klare Regeln für alle."
Plötzlich wurde klar: Alle drei wollten das Beste für den Teilnehmer und gute Betreuung bieten. Aber alle drei hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das aussieht.
Die psychologische Wirkung von Leitbildern
Leitbilder sind mehr als schöne Worte an der Wand. Sie wirken sowohl bewusst als auch unbewusst und schaffen innere Bilder und mentale Modelle, die unser Denken und Handeln prägen.
Menschen brauchen drei Dinge, um gut arbeiten zu können:
- Orientierung - Wo geht es hin?
- Sinnhaftigkeit - Warum machen wir das?
- Zugehörigkeit - Gehöre ich dazu?
Ein gutes Leitbild bedient genau diese Grundbedürfnisse. Es schafft Klarheit bei Entscheidungen, reduziert Komplexität im Arbeitsalltag und stiftet Motivation durch einen übergeordneten Sinn.
Warum die meisten Leitbilder scheitern
Die Forschung zeigt vier Hauptgründe, warum Leitbilder nach der Entwicklung sterben:
1. Fehlende Authentizität
Mitarbeitende merken sofort, wenn das Leitbild nicht mit der gelebten Realität übereinstimmt. Steht da "Wir fördern offene Kommunikation", aber Kritik ist nicht erwünscht, entsteht eine Glaubwürdigkeitslücke.
2. Mangelnde Einbindung
Wenn Leitbilder von oben herab entwickelt werden, fehlt die Identifikation. Menschen setzen sich nur für etwas ein, das sie mitgestaltet haben.
3. Zu abstrakt formuliert
"Wir sind kundenorientiert" - schön, aber was heißt das für den nächsten Termin? Abstrakte Formulierungen bieten keine konkrete Handlungsorientierung.
4. Unzureichende Integration
Das häufigste Problem: Das Leitbild wird nicht in Prozesse und Entscheidungen eingebunden. Es bleibt unsichtbar und irrelevant.
So entwickeln Sie ein lebendiges Leitbild
Die 4-Stunden-Methode für partizipative Entwicklung
Statt monatelanger Workshops können Sie mit der richtigen Methode in nur 4 Stunden ein tragfähiges Leitbild entwickeln:
Phase 1: Reflexion (30 Minuten) Jeder arbeitet für sich mit kreativen Materialien - Malsets, Lego, Bastelzeug. Das aktiviert andere Gehirnregionen als reines Reden und hilft, auch unbewusste Gedanken zu erfassen.
Phase 2: Austausch in 2er-Teams (30 Minuten) Kleine Gruppen schaffen psychologische Sicherheit. Die persönlichen Geschichten werden geteilt - das schafft emotionale Verbindung.
Phase 3: Präsentation (30 Minuten) Alle Paare präsentieren ihre Erkenntnisse. Wichtig: präsentieren, nicht vorlesen. Die Kunstwerke kommen wieder zum Einsatz.
Phase 4-7: Aufsteigendes Verfahren Aus individuellen Ideen werden gemeinsame Sätze. 2er werden zu 4er-Teams, 4er zu 8er-Teams, bis alle im Konsens 8 finale Sätze gefunden haben.
Klare und verständliche Formulierung
Die besten Leitbilder sind:
- Kurz: 5-7 Kernaussagen reichen
- Konkret: Statt "höchste Qualität" beschreiben, wie diese sichergestellt wird
- Aktiv formuliert: "Wir orientieren uns an unseren Kunden" statt "Kundenorientierung"
- Nutzenorientiert: Was hat der Kunde davon?
- Einzigartig: So spezifisch, dass sie nicht auf andere Unternehmen übertragbar sind
Leitbilder sichtbar und lebendig machen
Kreative Visualisierung
Ein Leitbild muss ins Auge fallen. Hier sind bewährte Beispiele:
- Personalisierte Darstellung: Große Fotos von Mitarbeitenden mit ihren persönlichen Statements
- Comics: Besonders geeignet für Zielgruppen, die nicht gerne lesen
- Galerien: Visualisierte Leitbildsätze als Dauerausstellung im Flur
- Take-Away-Materialien: Postkarten, Kalender, Notizbücher mit Leitbild-Elementen
Integration in den Arbeitsalltag
Visualisierung allein reicht nicht. Das Leitbild muss aktiv gelebt werden:
- In Entscheidungen: Bei wichtigen Entscheidungen fragen: "Was sagt unser Leitbild dazu?"
- In Gesprächen: Mitarbeitergespräche, Teamsitzungen, Kundentermine - überall kann das Leitbild thematisiert werden.
- In Prozessen: Neue Prozesse sollten auf Leitbild-Konformität geprüft werden.
- Durch Vorbilder: Führungskräfte müssen das Leitbild vorleben. Authentizität kann man nicht verordnen.
Der Lebendigkeit-Check: 5 Tests für Ihr Leitbild
- Spontan-Check: Können drei beliebige Mitarbeitende spontan sagen, was im Leitbild steht?
- Alltags-Check: Wird das Leitbild in Gesprächen erwähnt und bei Entscheidungen herangezogen?
- Konflikt-Check: Bei schwierigen Entscheidungen fragen: "Was würde unser Leitbild sagen?"
- Neuen-Check: Spüren neue Mitarbeitende das Leitbild im Arbeitsalltag?
- Kunden-Check: Würden Kunden Ihr Leitbild in Ihrem Verhalten wiedererkennen?
Die versteckten Kosten fehlender Leitbilder
Ohne wirksames Leitbild entstehen massive Reibungsverluste:
- Ineffiziente Entscheidungsprozesse: Jede Grundsatzdiskussion dauert länger
- Uneinheitliche Qualität: Kunden bekommen je nach Ansprechpartner unterschiedliche Erfahrungen
- Motivationsverlust: Ohne gemeinsame Werte sinkt das Engagement
- Schwierige Personalentwicklung: Wie sollen neue Mitarbeitende eingearbeitet werden, wenn unklar ist, wofür die Organisation steht?
Leitbilder als lebende Organismen
Ein Leitbild ist kein Grabstein, sondern ein lebender Organismus. Es sollte regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden:
- Jährlicher Leitbild-Workshop: Ist es noch aktuell? Was fehlt? Was ist überholt?
- Feedback-Runden: Was sagen Mitarbeitende und Kunden?
- Erfolgs-Check: Welche Aspekte werden gut gelebt? Welche nicht?
- Mut zur Veränderung: Wenn sich die Organisation weiterentwickelt, darf sich auch das Leitbild weiterentwickeln.
Fazit: Ein Werkzeug, kein Schmuckstück
Ein Leitbild ist kein Schmuckstück, sondern ein Werkzeug. Und Werkzeuge müssen benutzt werden, um zu wirken.
Die Kraft der Leitbilder kommt aus den Worten: kurz, knapp und bedeutungsvoll. Weniger ist oft mehr.
Für QM-Beauftragte ist das Leitbild das Fundament ihrer gesamten Arbeit. Ohne klares Leitbild können sie keine sinnvollen Prozesse entwickeln, keinen Erfolg messen und keine Standards definieren.
Ein Leitbild, das wirklich lebt, ist unbezahlbar. Es macht Entscheidungen einfacher, Teams stärker und Qualität messbar. Aber es braucht Pflege, Aufmerksamkeit und den Mut, es wirklich ernst zu nehmen.
Möchten Sie Ihr Leitbild professionell entwickeln oder beleben? Gerne begleite ich Sie von der Konzeption bis zur Umsetzung. Schreiben Sie mir unter mail@mq-koeln.de
FAQs: Leitbilder entwickeln und leben
1. Wie lange sollte ein gutes Leitbild sein?
5-7 Kernaussagen reichen völlig aus.
Viele Leitbilder scheitern, weil sie zu lang sind. Wer hat schon Zeit und Lust, sich durch seitenlange Texte zu kämpfen? Ein gutes Leitbild sollte auf einen Blick erfassbar sein. Konzentrieren Sie sich auf die wirklich einzigartigen Aspekte Ihrer Organisation. Fragen Sie sich: "Welche 5 Punkte machen uns wirklich besonders?" Wenn Sie die wesentlichen Inhalte Ihres Leitbilds nicht spontan zusammenfassen können, ist es noch nicht griffig genug.
2. Wie oft sollte man ein Leitbild überarbeiten?
Jährlich überprüfen, alle 3-5 Jahre grundlegend überarbeiten.
Ein Leitbild ist ein lebender Organismus, kein Grabstein. Führen Sie jährlich einen kurzen Leitbild-Workshop durch: Ist es noch aktuell? Was fehlt? Was ist überholt? Eine grundlegende Überarbeitung ist etwa alle 3-5 Jahre sinnvoll, wenn sich die Organisation stark weiterentwickelt hat. Wichtig: Sammeln Sie kontinuierlich Feedback von Mitarbeitenden und Kunden. Wenn sich zeigt, dass bestimmte Aspekte nicht mehr passen oder neue Werte wichtig geworden sind, zögern Sie nicht mit Anpassungen.
3. Wie kann ich sicherstellen, dass unser Leitbild von allen verstanden und gelebt wird?
Partizipation bei der Entwicklung + aktive Integration in den Arbeitsalltag.
Das Geheimnis liegt in der Beteiligung. Menschen identifizieren sich nur mit dem, was sie mitgestaltet haben. Nutzen Sie partizipative Methoden wie die 4-Stunden-Methode. Nach der Entwicklung muss das Leitbild aktiv gelebt werden: Beziehen Sie es in Entscheidungen ein ("Was sagt unser Leitbild dazu?"), thematisieren Sie es in Mitarbeitergesprächen und Teamsitzungen, und sorgen Sie dafür, dass Führungskräfte als Vorbilder agieren. Visualisierung hilft auch: Von der Galerie im Flur bis zu Take-Away-Postkarten.
4. Ist es sinnvoll, das Leitbild auf der Unternehmenswebsite zu veröffentlichen?
Ja, aber nur wenn es authentisch gelebt wird.
Ein Leitbild auf der Website kann eine starke Außenwirkung haben und zeigt, wofür Ihr Unternehmen steht. Aber Vorsicht: Kunden und potenzielle Mitarbeitende haben feine Antennen für Authentizität. Wenn das Leitbild nur Marketingsprech ist und nicht der gelebten Realität entspricht, schadet es mehr als es nützt. Veröffentlichen Sie es nur, wenn Sie sicher sind, dass Besucher das Leitbild auch in Ihrem Verhalten wiedererkennen würden. Dann kann es ein starkes Unterscheidungsmerkmal und Vertrauensbildner sein.
5. Wie kann ich messen, ob das Leitbild wirksam ist?
Mit dem 5-Punkte-Lebendigkeit-Check und regelmäßigen Befragungen.
Nutzen Sie diese 5 Tests:
- 1) Spontan-Check: Können drei beliebige Mitarbeitende spontan sagen, was im Leitbild steht?
- 2) Alltags-Check: Wird es in Gesprächen erwähnt und bei Entscheidungen herangezogen?
- 3) Konflikt-Check: Bei schwierigen Entscheidungen fragen: "Was würde unser Leitbild sagen?"
- 4) Neuen-Check: Spüren neue Mitarbeitende das Leitbild im Arbeitsalltag?
- 5) Kunden-Check: Würden Kunden Ihr Leitbild in Ihrem Verhalten wiedererkennen? Ergänzen Sie das durch regelmäßige anonyme Befragungen und beobachten Sie, ob sich Entscheidungsprozesse verkürzt und die Mitarbeiterzufriedenheit verbessert hat.
Arbeitshilfen herunterladen!
- Checkliste Leitbild - auf der Suche nach den Worthülsen: Checkliste_Leitbild.pdf
-
Anleitung Leitbild entwickeln in 4 Stunden: PDF_gesamt_Leitbildentwicklung.pdf
- Anleitung Indem-Sätze: Anleitung_Indem_Sätze.pdf